Gespräch bei vermuteter Sucht führen

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Wenn es um den Ablauf eines Fürsorgegesprächs geht, stellt sich Führungskräften häufig die Frage: Wie kann ich sicherstellen, dass das Gespräch nicht aus dem Ruder läuft oder eine wenig konstruktive Richtung annimmt? Wie du das Gespräch beeinflussen kannst, welche Fehler du vermeiden solltest und wie dir eine erfolgreiche Gesprächsführung gelingt, erfährst du im Folgenden. Bei weiteren Rückfragen kannst du dich natürlich auch an eine zuständige Ansprechperson wenden.

1. Fakten statt Beschuldigungen äußern

Achte darauf, dass du die zuvor notierten Auffälligkeiten mit Beispielen untermauerst. Wenn du dies nicht tust oder auf Rückfrage keine konkreten Situationen nennen kannst, kann es dazu führen, dass deine Argumente wie Beschuldigungen wirken und schnell auf Ablehnung stoßen. Also „Dienstag und Donnerstag warst du eine Stunde zu spät und am Montag hast du komplett gefehlt" anstatt „Du kommst in letzter Zeit häufig zu spät“.

2. Auffälligkeiten ansprechen statt Diagnosen stellen

Es steht dir nicht zu, zu entscheiden, ob die Person ein Alkohol- oder Drogenproblem hat oder nicht. Das ist die Aufgabe von ärztlichen und psychologischen Fachleuten und nicht der Führungskraft. Deine Aufgabe besteht darin, wahrzunehmen: Irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas hat sich verändert. Genau das sollte der Fokus sein und nicht, ob die Person zu viel trinkt oder nicht. Später wird das zwar relevant, aber nicht im ersten Fürsorgegespräch. Auch ist es nicht deine Aufgabe, Ursachen für das vermutete Suchtproblem zu erfragen oder Theorien aufzustellen. Auch das ist Teil der professionellen Unterstützung, sofern diese in Anspruch genommen wird.

3. Unterstützung anbieten statt Angst machen

Die Person wird sich nicht öffnen, wenn du mit Vorwürfen und Angstmacherei in das Gespräch gehst. Stattdessen solltest du versuchen, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen. Du könntest sagen:
  • „Ich mache mir Sorgen um dich, ich kenne dich so nicht.“
  • „Ich habe aktuell ein komisches Bauchgefühl, deswegen möchte ich das Thema gerne ansprechen.“
  • „Du kannst mit mir vertraulich reden, und wenn ich nicht die richtige Person bin, kannst du auch mit anderen Vertrauenspersonen Kontakt aufnehmen.“
Es sollte dir ausschließlich darum gehen, die Zusammenarbeit wieder zu verbessern: „Ich wünsche mir, dass wir zur guten Zusammenarbeit zurückkehren. Wenn du dafür Unterstützung benötigst, bekommst du die.“

4. Verantwortung einfordern statt Wünsche zu erfüllen

Wenn es darum geht, die Auffälligkeiten in den Griff zu bekommen, solltest du darauf achten, dass der oder die Betroffene das Gespräch nicht als Wunschkonzert versteht. Es kann nicht die Zielsetzung sein, der betroffenen Personen jeden Wunsch zu erfüllen. So wäre es zum Beispiel wenig zielführend, der Person zu erlauben, später zur Arbeit zu kommen, nur damit sie morgens ihren Rausch ausschlafen kann.
Stattdessen solltest du schauen: Was ist im Rahmen unserer Möglichkeiten und wo muss der oder die Mitarbeitende Eigenverantwortung übernehmen. Das bedeutet auch ganz klar zu sagen: „Du bist dafür verantwortlich, dass du bei der Arbeit fit und leistungsfähig bist. Wenn du das alleine nicht schaffst, dann hole dir Hilfe!“

5. Einen Konsens finden statt ergebnislos zu bleiben

Führe dir für deine eigene Erwartungshaltung stets vor Augen: Das Ziel des Gesprächs sollte nicht sein, die Person zu dem Eingeständnis zu bewegen, dass sie ein Problem hat. Und auch nicht, dass du herausfindest, was das Problem ist. Wenn das deine Zielsetzung ist, wirst du schnell auf Widerstand stoßen. Das Ziel ist vielmehr, dass die Person versteht: Du siehst es, es geht so nicht weiter und du unterstützt die Person, wenn sie dich braucht.
Und auch, wenn sich das nach dem Gespräch vielleicht zunächst nicht gut anfühlt, kann die positive Nachwirkung des Gesprächs eine Verhaltensänderung bewirken. Auch das passiert ganz oft.
Wichtig ist, wertschätzend zu bleiben, auch wenn das Gespräch nicht den erhofften Verlauf nimmt. Denn dann bleibt die Chance erhalten, dass sich die Person im Nachgang nochmal an dich wendet.

6. Rollenklarheit statt „Kumpelverhalten“

Schwierig wird es, wenn du mehrere „Hüte“ aufhast, wenn es also unterschiedliche Rollen gibt, in denen du der oder dem Mitarbeitenden gegenübertrittst. Gibt es neben dem Arbeitsverhältnis auch noch andere Verbindungen, wie den Fußballverein, die Feuerwehr, die Kinder, oder wart ihr vielleicht lange gute und innige Kolleg:innen, bevor du in die Führungsrolle gewechselt bist? All diese Verknüpfungen sollten nach Möglichkeit in diesem Gespräch irrelevant sein. Du bist jetzt und hier die Führungskraft und du sprichst aus deiner Führungsverantwortung heraus mit deinem Gegenüber.
Menschen mit (beginnendem) Suchtproblem haben meist ein sehr gutes Händchen dafür, ihrer Verantwortung auszuweichen und dich auf die persönliche und mitfühlende Ebene zu bewegen. Das erschwert es jedoch enorm, konsequent in deiner Vorgehensweise zu sein und zu bleiben. Erfahrungsgemäß ist das einer der wichtigsten Grundsätze im Umgang mit (beginnendem) Suchtproblem: Konsequent zu sein. Also keine Sonderbehandlung, keine Ausnahmeregelung, keine Ausweitung der Komfortzone.

7. Klare Perspektive statt Orientierungslosigkeit

Am Ende des Gesprächs ist es wichtig, dass du eine klare Perspektive aufzeigst. Also die Beantwortung der Frage: „Wie geht es weiter?“. Beispielsweise sollte ein Folgegespräch stattfinden, um positive Änderungen wertzuschätzen oder um weitere Maßnahmen zu ergreifen, falls die Auffälligkeiten weiterhin bestehen und die Zusammenarbeit sich nicht verbessert hat.
Was sich hier bewährt hat, ist ein direktes Zweitgespräch nach ca. 6-8 Wochen. Bis dahin solltest du besonders auf die Person achten. Gleichzeitig hat diese die Möglichkeit, sich intern oder extern Unterstützung zu holen, wenn sie das möchte.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.